Warum es so schwierig ist, kontinuierliche Verbesserung im Arbeitsalltag zu etablieren
10. September 2024
Kontinuierliche Verbesserung ist eines der Grundprinzipien agiler Methoden und insbesondere im Scrum-Framework fest verankert. Das Ziel ist klar: Teams sollen sich stetig weiterentwickeln, Prozesse optimieren und die Qualität ihrer Arbeit kontinuierlich steigern. Doch obwohl die Theorie so überzeugend klingt, zeigt die Praxis, dass die Umsetzung von kontinuierlicher Verbesserung im Arbeitsalltag oft mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist.
Warum ist es so schwierig, kontinuierliche Verbesserung tatsächlich zu leben? Und welche Strategien können Scrum-Teams helfen, diesen Prozess erfolgreicher zu gestalten?
1. Die Komfortzone verlassen: Die Herausforderung der Veränderung
Veränderungen sind schwer. Menschen neigen dazu, sich in ihrer Komfortzone einzurichten, insbesondere wenn aktuelle Arbeitsprozesse zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen. Auch wenn es klare Vorteile hat, bestehende Abläufe zu hinterfragen und zu optimieren, wird dieser Schritt oft vermieden, weil er Unsicherheit und zusätzlichen Aufwand mit sich bringt.
Herausforderung: Viele Teams und Individuen scheuen die Veränderung, weil sie mit Risiken und Unbekanntem verbunden ist. Der Weg der geringsten Widerstände – das Festhalten an Altbewährtem – scheint einfacher und sicherer, auch wenn das langfristig zu Stagnation führt.
Strategie: Eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens schaffen, in der Veränderungen als positive Schritte hin zu besseren Ergebnissen gesehen werden. Teams sollten ermutigt werden, Risiken kontrolliert einzugehen und Veränderungen als Lernchancen zu betrachten. Dies kann durch regelmäßige Retrospektiven unterstützt werden, in denen bewusst über den Nutzen von Veränderungen reflektiert wird.
2. Zeitdruck und Alltagsstress: Keine Zeit für Verbesserungen
In vielen Unternehmen stehen Scrum-Teams unter starkem Zeitdruck. Die Dringlichkeit, Features zu liefern und Deadlines einzuhalten, lässt oft wenig Raum für Reflexion und Prozessverbesserung. Die kontinuierliche Verbesserung bleibt dabei schnell auf der Strecke, weil der Fokus auf kurzfristige Ergebnisse gelegt wird.
Herausforderung: Die Priorität von kontinuierlicher Verbesserung sinkt im Tagesgeschäft, insbesondere wenn diese nicht direkt zum aktuellen Sprintziel beiträgt. Zeitmangel führt dazu, dass Verbesserungen als „nice to have“ angesehen werden, die hintenangestellt werden können.
Strategie: Verbesserungen priorisieren und explizit Zeit für sie einplanen. Dies kann durch die Einführung von „Improvement Items“ im Sprint Backlog geschehen, die genauso behandelt werden wie andere Aufgaben. Teams sollten sich bewusst Zeit für Verbesserungen nehmen und diese nicht nur als Nebenprodukt sehen, sondern als integralen Bestandteil des Sprints. Zudem kann in Retrospektiven auch reflektiert werden, wie sich das Team über einen gewissen Zeitraum weiterentwickelt hat. Und nicht zuletzt muss dem Team vom Umfeld signalisiert werden, dass diese Verbesserungen als wertvoll angesehen werden. Wird das Team vorrangig aufgrund der gelieferten Menge gelobt oder getadelt, so wird damit auch beeinflusst, worauf sich das Team zukünftig fokussiert.
3. Mangel an sichtbarem Erfolg: Der fehlende Anreiz
Kontinuierliche Verbesserungen bringen nicht immer sofort sichtbare Ergebnisse. Oft sind sie subtil und entfalten ihre Wirkung erst über einen längeren Zeitraum. Das Fehlen von kurzfristigen Erfolgen kann dazu führen, dass das Team den Wert von Verbesserungen unterschätzt oder nicht die nötige Motivation entwickelt, kontinuierlich daran zu arbeiten.
Herausforderung: Der fehlende direkte Nutzen von Verbesserungen kann das Engagement schwächen. Wenn Erfolge nicht sofort sichtbar sind, kann die Motivation, sich auf Verbesserungen zu konzentrieren, schnell abnehmen.
Strategie: Erfolge feiern, egal wie klein sie sind. Teams sollten lernen, auch kleine Fortschritte zu erkennen, zu schätzen und zu kommunizieren. Dies kann durch das regelmäßige Visualisieren von Erfolgen (z.B. in Form von Verbesserungs-Boards) oder durch Feedback-Schleifen geschehen, die die positiven Auswirkungen von Veränderungen transparent machen.
4. Das „Neue Normal“: Verbesserungen verblassen schnell
Ein weiteres Hindernis für kontinuierliche Verbesserung ist die Tatsache, dass Verbesserungen oft schnell als das „Neue Normal“ wahrgenommen werden und dadurch ihre Sichtbarkeit verlieren. Während Probleme und Herausforderungen sofort auffallen und Aufmerksamkeit erregen, werden Verbesserungen schnell als selbstverständlich betrachtet. Dies führt dazu, dass ihr Wert im Alltag unterschätzt wird und das Engagement für weitere Verbesserungen sinkt.
Herausforderung: Wenn Verbesserungen schnell als selbstverständlich angesehen werden, fehlt oft die Anerkennung für den Fortschritt. Dies kann dazu führen, dass das Team weniger motiviert ist, weiterhin aktiv nach Optimierungspotenzial zu suchen, da die positiven Veränderungen nicht mehr bewusst wahrgenommen werden.
Strategie: Verbesserungen sichtbar halten und regelmäßig reflektieren. Teams sollten bewusst Rückschau halten, um zu erkennen, wie weit sie bereits gekommen sind. Dies kann beispielsweise dadurch erreicht werden, dass Verbesserungen als Hypothesen oder Experimente formuliert werden. Für jedes Experiment kann die erhoffte Verbesserung, die vorzunehmende Veränderung sowie Erfolgskriterien definiert werden. Die Liste an durchgeführten Experimenten kann dann eine wesentlich bessere Transparenz schaffen, was das Team bereits erreicht hat.
5. Widerstand gegen neue Prozesse: Die Angst vor dem Unbekannten
Neue Prozesse und Methoden, die im Rahmen von kontinuierlicher Verbesserung eingeführt werden, stoßen oft auf Widerstand. Der Grund: Sie erfordern eine Anpassung der bisherigen Arbeitsweise, was oft als unbequem empfunden wird. Dieser Widerstand kann die Einführung und Etablierung neuer, verbesserter Praktiken erheblich erschweren.
Herausforderung: Der natürliche Widerstand gegen Veränderungen führt dazu, dass neue Prozesse nur zögerlich oder gar nicht angenommen werden. Der gewohnte Arbeitsablauf erscheint einfacher und sicherer.
Strategie: Veränderungen inkrementell einführen und durch positive Erfahrungen stärken. Anstatt das Team mit großen Umwälzungen zu konfrontieren, sollten neue Prozesse schrittweise eingeführt und sofortige, kleine Erfolge sichtbar gemacht werden. Diese Vorgehensweise kann das Vertrauen in den neuen Prozess stärken, Veränderung als etwas alltägliches etablieren und den Widerstand minimieren.
6. Fehlende Unterstützung von Führungskräften: Das Top-Down-Dilemma
Selbst wenn das Team bereit ist, kontinuierliche Verbesserungen umzusetzen, kann fehlende Unterstützung von Führungskräften den Prozess behindern. Ohne die nötigen Ressourcen, Zeit oder Anerkennung durch das Management wird es schwierig, Verbesserungsinitiativen nachhaltig zu verankern.
Herausforderung: Mangelnde Unterstützung von oben kann den Verbesserungsprozess ausbremsen oder sogar verhindern. Teams, die das Gefühl haben, dass ihre Bemühungen nicht geschätzt oder unterstützt werden, könnten ihre Initiativen frühzeitig aufgeben.
Strategie: Führungskräfte sollten den kontinuierlichen Verbesserungsprozess aktiv fördern und unterstützen. Dies kann durch die Bereitstellung von Ressourcen, die Schaffung eines sicheren Rahmens für Experimente und die Anerkennung von Verbesserungsbemühungen geschehen. Führungskräfte sollten sich als „Servant Leaders“ verstehen, die das Team bei der Umsetzung von Verbesserungen aktiv unterstützen.
Fazit: Veränderungen als Wegbereiter für Verbesserungen
Kontinuierliche Verbesserung erfordert Mut zur Veränderung, Zeit, Geduld und die Bereitschaft, sich immer wieder auf Neues einzulassen. Obwohl es herausfordernd sein kann, kontinuierliche Verbesserungen im Arbeitsalltag zu etablieren, ist es für Scrum-Teams unerlässlich, diesen Weg zu gehen. Mit den richtigen Strategien und einer offenen, unterstützenden Kultur können die Herausforderungen gemeistert werden, um den kontinuierlichen Verbesserungsprozess erfolgreich zu integrieren. Denn ohne Veränderung gibt es keine Verbesserung – und ohne Verbesserung bleibt das Potenzial eines Teams unerfüllt.
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