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Horizontale vs vertikale Teams - verschiedene Teamstrukturen im Vergleich


10. Juli 2021

Eines der spannendsten Themen im Kontext von Agilität ist die ideale Teamstruktur. Diese Fragestellung hat tiefgreifenden Einfluss auf die Kommunikationsstruktur und die Abgrenzung von Aufgabengebieten. Und nach Convey Law (https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_von_Conway) damit auch auf das Produkt als solches. Deshalb lohnt sich nicht nur ein genauerer Blick auf das Thema, sondern es kann auch nützlich sein, bewährte Strukturen in Frage zu stellen und neue, radikale Ansätze zu betrachten. Auch wenn diese Ansätze möglicherweise nicht vollständig umsetzbar sind, so können sie doch interessante und hilfreiche Denkanstöße liefern. Dieser Artikel beschreibt zwei grundsätzliche Ansätze und versucht die Vor- und Nachteile darzulegen.

Nehmen wir zu Beginn einfach einmal ein kleines, überschaubares Team, das sich aus Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen zusammensetzt. Hier ist es noch relativ einfach, dass alle Teammitglieder gut miteinander abgestimmt sind. So funktioniert nicht nur die Kommunikation gut, sondern es ist wesentlich einfacher, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Jeder erkennt, was zur Erreichung des Ziels zu tun ist. Jeder kann sich dabei einbringen und in der Regel sind Kompetent- und Aufgabenbereiche dabei nicht scharf abgegrenzt. So kann das Team flexibel reagieren, jedes Teammitglied springt dort ein, wo es gerade notwendig ist, ähnlich wie bei einem Sport-Team, wo Angreifer auch in der Verteidigung aushelfen und umgekehrt.

Wenn das Team nun wächst, Menschen mit ähnlichen Kompetenzen, wie die der bestehenden Teammitglieder hinzugefügt werden, dann wird die Kommunikation bereits wesentlicher komplexer, Meetings dauern länger und Diskussionen sind weniger zielgerichtet. Ein weiterer Effekt, der nun aber ebenfalls eintritt, ist noch weitreichenderer. Nun können nicht mehr alle Teammitglieder miteinander gut abgestimmt sein. Manche kommunizieren enger miteinander, manche fast gar nicht. Dadurch geht der gemeinsame Blick auf das große Ganze  ein Stück weit verloren.

Es bilden sich einzelne Grüppchen im Team, die für bestimmte Aufgaben „zuständig“ sind. Die anderen halten sich aus diesen Bereichen weitgehend heraus. In dieser Situation wird das zwar organisatorisch als ein Team betrachtet, die gelebte Wirklichkeit sieht hier aber bereits anders aus. Diese Wirklichkeit ist oftmals sehr intransparent und manchmal auch recht dynamisch, was es schwierig macht, Verbesserungspotenziale zu erkennen und umzusetzen.

In dieser Situation kommt üblicherweise bald die Überlegung auf, das Team aufzuteilen, um kleinere schlagkräftigere Teams zu bilden. Ein häufiger Weg, der dabei gegangen wird, ist die Bildung von horizontalen Teams, bei denen Menschen mit ähnlicher Expertise zu Fachteams zusammengefasst werden.

Innerhalb dieser Teams ist die Kommunikation nun wesentlich weniger komplex und die Mitglieder haben eine gute Möglichkeit, wieder besser miteinander abgestimmt zu sein. Nun entsteht aber der Bedarf, dass sich die Teams untereinander zusätzlich abstimmen.

Eine Alternative, die inzwischen auch mehr Verbreitung findet, ist die Bildung von interdisziplinären bzw. cross-funktionalen Teams, den sogenannten vertikalen Teams. Dabei werden die Teams so zusammengesetzt, dass in jedem Team möglichst jede benötigte Expertise vorhanden und das Team damit autark funktionsfähig ist. Dabei gibt es durchaus auch Teams die von der Kundenkommunikation über Produktmanagement, Entwicklung und Qualitätssicherung bis hin zum Betrieb und Support alle Belange abdecken.

Zum Vergleich der beiden Modelle treffen wir nun eine Annahme: Die Kommunikation innerhalb des Teams ist einfacher als über Teamgrenzen hinweg. Unter dieser Annahme werden bei den horizontalen Teams Fachexperten zusammengebracht, um sich in ihrer Fachdomäne auszutauschen und so das Wissen weiter auszubauen.

Aus der Perspektive des Wertstroms wird allerdings sichtbar, dass dieser Ansatz auch Nachteile birgt. Hier muss eine umzusetzende Funktionalität bzw. eine Kundenanforderung mehrere Teamgrenzen überwinden, auf dem Weg von der Idee bis zur tatsächlichen Auslieferung. Das bedeutet, dass bei der Umsetzung „Übergaben“ zwischen den Teams notwendig sind, die neben Wartezeiten typischerweise auch mit Informationsverlusten einhergehen.

Vertikale Teams wären im Gegensatz dazu im Idealfall in der Lage, eine Kundenanforderung komplett innerhalb des Teams umzusetzen.

Vertikale Teams sind auch geeignet den Flow und damit die Durchlaufzeiten zu optimieren. In horizontalen Strukturen sind Teams für die Organisation „ihrer Arbeit“ verantwortlich. Im Gengensatz dazu haben vertikale Teams eher eine systemisch Sicht. Erkenntnisse aus späteren Umsetzungsphasen können genutzt werden, um frühere Phasen zu optimieren. Werden beispielsweise vor der Auslieferung oder auch im Betrieb Fehler erkannt, so kann einfacher überlegt werden, wie diese bereits in der Umsetzung oder sogar bei der Definition der Anforderungen vermieden werden könnten, da ja das selbe Team alle diese Phasen bearbeitet. Anforderungsexperten können in der Umsetzung schnell und einfach hinzugezogen werden, um Fragen zu klären, sind diese doch im selben Team und sitzen idealerweise in unmittelbarer Nähe.

Selbstverständlich ist diese Art des Austausches auch bei horizontalen Teams möglich. Jedoch ist hierbei immer eine Kommunikation über Teamgrenzen hinweg notwendig. Hier soll nochmals auf die Grundannahme verwiesen werden, dass die Kommunikation innerhalb des Teams einfacher ist, als über Teamgrenzen hinweg. Somit unterstützen vertikale Teams diese Kommunikation. Im Gegensatz dazu unterstützen horizontale Teams den Austausch zwischen Fachexperten was wiederum den Aufbau von Fachexpertise fördert. Es kommt also darauf an, welche Ziele momentan verfolgt werden sollen. Danach sollte sich die angestrebte Teamstruktur ausrichten.

Ein Aspekt soll hier noch detaillierter betrachtet werden, der gegen vertikale Teamstrukturen ins Feld geführt wird. So ist es in vertikalen Teams meist schwieriger, alle Teammitglieder gleichmäßig auszulasten.  An dieser Stelle soll hinterfragt werden, ob diese Auslastung denn überhaupt sinnvoll ist. Oftmals wird als ideal angesehen, wenn es bei den einzelnen Teammitgliedern keine Leerlaufzeiten gibt, diese also zu jeder Zeit beschäftigt sind.

Genau diese Art der Auslastung lässt sich bei vertikalen Teams oftmals nur schwerer erreichen. Der Grund dafür liegt darin begründet, dass hier sehr viele unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen notwendig sind und diese nicht durch alle Teammitglieder abgedeckt werden können. Somit ergeben sich häufiger Situationen, in denen ein Teammitglied nicht beschäftigt ist, aber in anderen Themen auch nicht sinnvoll unterstützen kann.

Man kann nun aber auch die Frage, ob diese Auslastung überhaupt erstrebenswert ist. Aus der Perspektive des Wertstroms stellt sich das nämlich ganz anders dar. Die umzusetzende Funktion muss bei horizontalen Strukturen mehrfach an ein anderes Team übergeben werden. An jeder dieser Übergabepunkte entstehen aber fast unvermeidlich Wartezeiten. Wenn ein Team eine Aufgabe erledigt hat und diese an das nächste Team übergibt,  ist dieses Team zunächst mit anderen Aufgaben beschäftigt. Und üblicherweise gibt es bereits ein Backlog, eine Liste mit Aufgaben, die noch erledigt werden sollen, bevor an diesem Element gearbeitet werden kann. Wenn dann noch Bedarf für Nacharbeiten festgestellt wird, z.B. wenn bei der Qualitätssicherung Fehler entdeckt und diese dann an die Entwicklung zurückgegeben werden, um diese zu beheben, dann verstärkt sich dieser Effekt.

Diese Wartezeiten machen sehr häufig den Großteil der Durchlaufzeiten aus. So können Durchlaufzeiten bei vertikalen Teams dramatisch verringert werden, ohne dass die Teammitglieder mehr Stress haben oder härter arbeiten müssen. Bereits die bessere Koordination der einzelnen Arbeitsschritte innerhalb des Teams kann dazu beitragen.

Die so optimierten Durchlaufzeiten führen zu einem reibungsloserem Fluss, die Aufgaben können zeitnah fertiggestellt und es kann Feedback erhoben werden. Und vor allem reduziert sich so der Bedarf für Kontextwechsel, einen der größten Produktivitätskiller überhaupt.

Fazit

Wie so häufig lässt sich nicht pauschal sagen, welche Teamstruktur die bessere ist. Einen guten Anhaltspunkt bietet dabei jedoch die Überlegung, welche Kommunikation gestärkt werden soll, die unter Fachexperten, oder die Kommunikation entlang des Wertstroms.

Natürlich haben beide Ansätze auch ihre Herausforderungen. Vertikale Teams sind schwieriger umzusetzen, wenn bestimmte Expertisen nur seltener benötigt werden oder wenn es nur wenige Experten dafür in der Organisation gibt. Einen Ausweg bietet hier das Konzept der sog. T-shaped People (https://en.wikipedia.org/wiki/T-shaped_skills) das es ermöglicht, dass die Mitglieder des Teams ihre Fähigkeiten schrittweise in anderen Bereichen ausbauen und somit eine größere Überschneidung der Kompetenzen und Fähigkeiten der Teammitglieder erhalten.

Gerade im Kontext von hoher Kundenfokussierung, kurzen Feedbackschleifen und schnellen Durchlaufs- und Reaktionszeiten bieten vertikale Teams eine interessante Alternative zu klassischen Teamstrukturen. Darüber hinaus lässt sich auch beobachten, dass so die Teamdynamik verändert wird. Statt ein sich ständig neu befülltes Backlog abzuarbeiten, haben die Teammitglieder vertikaler Teams ein viel stärkeres Bewusstsein über die Wirkung ihrer Aufgaben und eine höhere Empathie für die Bedürfnisse ihrer Anwender.

Für manche Organisationen und als Übergangslösung können auch Hybrid-Modelle sinnvoll sein. Dabei wird z.B. ein Teil des Wertstromes in einem vertikalen Team abgebildet, dem dann horizontale Teams vor- bzw. nachgelagert sind. Das ist beispielsweise ein Modell, das man häufig bei agiler Softwareentwicklung sieht, bei dem die Planung, Entwicklung und Qualitätssicherung vertikal organisiert, das Produktmanagement und der Betrieb aber vor- bzw. nachgelagert sind.

Egal, für welche Teamstruktur sich eine Organisation aber entscheidet, Conveys Law (https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_von_Conway) gibt vor, dass das auch Auswirkungen auf das Produkt haben wird. Das bedeutet, dass ein Produkt ganz anders strukturiert werden muss, um das Arbeiten in vertikalen Teams überhaupt zu ermöglichen. Hierzu muss auch das Produkt vertikal geteilt sein, so dass jedes vertikale Team einen bestimmten Produktbereich Ende-zu-Ende verantworten kann.


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